Die Frau im China der Reformperiode: Ein neuer Anlauf zur Befreiung?

  • Brunhild Staiger (Autor/in)

Abstract

In Anbetracht der Vierten Weltfrauenkonferenz der UNO, die vom 4.-15.September 1995 in Beijing stattfindet, rückt chinesische Frauenpolitik mehr als sonst bei uns in den Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit. In den westlichen Medien wird die Frau in China in verschiedenen Varianten thematisiert, als erfolgreiche Unternehmerin oder als unterdrücktes Opfer der rigorosen Familienplanungspolitik - fast immer aber mit den Augen westlicher Frauen und gemessen an unseren Normen. Überdies scheinen die Begleitumstände der Konferenz die Gemüter der Öffentlichkeit im Westen mehr zu erregen als das Schicksal der chinesischen Frau. War es zunächst die Verlegung des Tagungsortes für die Nichtregierungsorganisationen von Beijing in die 60 km entfernte Kleinstadt Huairou, die für Aufregung sorgte, so lenkten wenige Wochen und Tage vor Beginn der Konferenz Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen in China die Aufmerksamkeit im Westen auf sich, die einige Frauengruppen dazu veranlaßten, die Verlegung der Weltfrauenkonferenz in ein anderes asiatisches Land zu fordern. Abgesehen davon, daß diese Dinge auch schon 1991 zu beklagen gewesen wären, als China offiziell zum Veranstalter der Vierten Weltfrauenkonferenz erkoren wurde, scheinen die Frauenpolitikerinnen im Westen nicht zu bedenken, daß sie mit einer solchen Forderung ihren chinesischen Schwestern keinen guten Dienst erweisen. Denn es kann kein Zweifel bestehen, daß bereits die Vorbereitung auf die Konferenz der Frauenbewegung in China einen ungeahnten Auftrieb verliehen hat. Seit die Vorbereitungen für die Konferenz laufen, ist das Thema Frau in den chinesischen Medien allgegenwärtig, und es werden nicht nur Erfolgsmeldungen gebracht, sondern auch Fehlentwicklungen infolge der Reformpolitik, wie Benachteiligung von Frauen im Berufsleben und im Bildungswesen, kritisch beleuchtet. Zudem hat die chinesische Regierung ein Weißbuch über die Situation der Frau in China (Juni 1994, vgl. C.a., 1994/6, Ü 16), einen Frauenbericht über Strategien zur Anhebung der Stellung der Frau (Oktober 1994, vgl. C.a., 1994/10, Ü 16), wie sie 1985 auf der Dritten Weltfrauenkonferenz in Nairobi beschlossen worden waren, und jüngst ein Programm zur Entwicklung der Frau für den Zeitraum 1995-2000 (August 1995, vgl. C.a., 1995/8, Ü 11) herausgebracht. Diese Dokumente haben das Thema in das Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Von großer Bedeutung für die Frauenbewegung selbst ist nicht zuletzt die Entstehung einer ganzen Reihe von nichtstaatlichen Frauenorganisationen unabhängig vom staatlichen Frauenverband sowie einer eigenständigen Frauenforschung. Inzwischen soll es in China mehr als einhundert unabhängige Frauenorganisationen geben.
In diesem Beitrag soll der Blick auf die chinesische Frau gerichtet werden, wobei nicht die offizielle Sicht der Frauenpolitik dargestellt werden soll, sondern die Stimmen der Frauen selbst zu Gehör kommen sollen. Ziel ist es, ein aktuelles Bild davon zu vermitteln, wie sich die Frau in China selbst sieht, was sie bewegt und welche Probleme sie artikuliert.

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Veröffentlicht
2019-10-16
Sprache
Deutsch
Beitragende/r oder Sponsor
GIGA
Schlagworte
Volksrepublik China, Frauenfrage, Frauenbewegung, Frauenorganisation, Frauenpolitik