Zum Machtfaktor „Presse“ in Indien
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Abstract
In ihrem Bericht zu den kommunalistischen Ausschreitungen in Gujarat (2002) schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) über die Rolle der Medien in diesem Konflikt: „While the national Indian press has played an important role in exposing the violence and official neglect or misconduct, sectors of the local press have been accused of inciting the violence.“1 Zunächst ist interessant, dass unter „Medien“ in diesem Abschnitt des Berichts ausschließlich die indische Presse verstanden wird, was darauf schließen lässt, dass HRW diesem Medium ungeachtet der Präsenz des Fernsehens und anderer elektronischer Medien nach wie vor eine zentrale und besonders machtvolle Rolle zuspricht. Inwiefern dies gerechtfertigt ist bzw. sich im entsprechenden Umfang in der medientheoretischen Diskussion und Indienbezogenen Medienforschung widerspiegelt, ist eine Frage, die im dritten Abschnitt dieses Artikels erörtert wird. Zwei weitere Aspekte dieses Zitats verdienen ebenfalls eine genauere Betrachtung. Erstens wird – was nicht nur im Hinblick auf die Ereignisse in Gujarat zutrifft – deutlich, dass die Beobachter der Presse deren Berichterstattung schwerpunktmäßig im unmittelbaren Kontext eines eskalierenden Konflikts betrachten. Damit agieren sie in der Reflexion ebenso ereignisbezogen wie die Medien selbst und verfolgen weniger den Entstehungsprozess bzw. die Geschichte des entsprechenden Mediendiskurses. Zweitens wird hier die problematische Unterteilung der indischen Presse in die Kategorien „national“ (= englischsprachig) und „lokal/regional“ (= regionalsprachig) reproduziert, verbunden mit der impliziten Annahme, dass diese beiden Gruppen höchst konträre Interessen verfolgen. Obwohl sich der HRW-Bericht lediglich auf Sektoren der lokalen Presse bezieht,2 werden diese nicht mit der Art und Weise verglichen, wie der Konflikt grundsätzlich innerhalb der Gujarati-Presse bzw. anderer in Gujarat erscheinender Zeitungen und Regionalausgaben dargestellt wurde, sondern der Berichterstattung in der sog. nationalen Presse gegenübergestellt.