Public Interest Litigation in Indien
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Abstract
Indien ist ein Rechtsstaat. Diese Feststellung ist allerdings mit äußerster Vorsicht zu genießen. Im Hinblick auf die Analphabetenrate im Milliardenvolk Indiens erscheint es zweifelhaft, ob rechtsstaatliche Verfassungsgarantien für gut die Hälfte der Inder überhaupt von Belang sein können. Die Alphabetisierungsquote reicht von 39 bis 44 Prozent in den BIMARU-Staaten, den vor allem wirtschaftlich „kranken“ Bundesstaaten Indiens, bis zum absoluten und einsamen Spitzenwert von 90 Prozent in Kerala. Daraus ergibt sich ein landesweiter Durchschnitt von knapp über 50 Prozent. Unter diesen Voraussetzungen bleibt es aber für viele benachteiligte und am Rande der Gesellschaft lebende Menschen schlichtweg illusorisch, sich auf ihr Recht zu berufen, geschweige denn, dieses einzuklagen. Wie soll ein mittelloser, des Lesens und Schreibens unkundiger Untersuchungshäftling in Bihar seinen Anspruch auf richterliche Haftprüfung vor Gericht geltend machen? Wie sollten „bonded labourers“ die Aufhebung ihrer Schuldknechtschaft durch Art. 23 der indischen Verfassung und die Umsetzung des Bonded Labour System (Abolition) Act, 1976 einklagen, wenn sie weder mit dem normativen Gehalt dieser Rechtsvorschriften noch mit den prozessualen Anforderungen einer Klageerhebung vertraut sind?