Polfuß, Jonas
Rechtskultur und Gerechtigkeitssinn in China
Diskurse über Ordnung und Gesetz innerhalb und zwischen Staaten prägen bereits die frühen überlieferten Schriften aus China. Ob in der philosophischen Debatte zwischen Konfuzianismus und Legismus oder in der Diskussion und Auslegung des Strafrechts durch die höfischen Beamtengelehrten – Rechtsverständnis und Gerechtigkeitsempfinden blieben das chinesische Kaiserreich hindurch von zentraler Bedeutung. Das heutige China sorgt für Kontroversen in Hinblick auf Verbrechen, Strafrecht und Ethik, wobei im In- und Ausland insbesondere chinesische Eigenarten und ausländische Einflussnahmen kritisch diskutiert werden. Im aktuellen Gesellschaftsdiskurs Chinas stehen Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit im Vordergrund, die auch mit der Legitimität der chinesischen Regierung zusammenhängen. Der hiermit skizzierte Themenkomplex Recht und Gerechtigkeit stand im Mittelpunkt der 25. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Chinastudien (DVCS), die vom 7. bis 9. November 2014 in Münster stattfand. Der dazugehörige Tagungsband vereint Beiträge von elf Autorinnen und Autoren, die sich Recht und Gerechtigkeit in China aus philologischer, philosophischer, literarischer, historischer, soziologischer, politologischer und nicht zuletzt rechtswissenschaftlicher Sicht nähern. Der Band umfasst sowohl methodisch als auch zeitlich die Bandbreite der Chinawissenschaften, indem relevante Fragestellungen von der West-Zhou-Zeit bis in die jüngste Gegenwart analysiert werden. Das Ergebnis ist ein facettenreicher Zwischenstand, der auch eine fundierte Grundlage für künftige Diskussionen liefert.
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Worüber man nicht spricht: Tabus, Schweigen und Redeverbote in China
Selbst auferlegte bzw. gesellschaftlich oder staatlich auferlegte Redetabus haben die chinesische Kulturgeschichte stets ebenso begleitet wie Versuche, sie zu brechen oder zu umgehen. Nicht nur die Philosophie, Historiographie und Literatur haben in diesem Spannungsfeld gestanden, sondern auch das moralische und das bis heute mit Redetabus konfrontierte politische Handeln.
Worüber man nicht spricht versammelt elf Beiträge, die einen Bogen vom chinesischen Altertum bis in die Gegenwart spannen und das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln heraus beleuchten. Untersucht werden: Fälle von Inzest in der chinesischen Antike; das Problem häuslicher Gewalt im gegenwärtigen China; die ursprünglich streng vertraulichen „Familienunterweisungen des Zhu Xi“; Ratgeberliteratur zu China mit ihren Empfehlungen und Verboten; die Kritik des republikzeitlichen Schriftstellers und Intellektuellen Lu Xun an Mechanismen der Macht; die Ausrichtung der Forschung zum ‚Buch der Wandlungen‘ (Yijing); politischer Faktionalismus im Einparteienstaat China; der Linguist Wei Jian¬gong und seine Rechtfertigungen sprachpolitischer Maßnahmen; das politische Engagement des Filmschaffenden Shi Hui in den 1940er Jahren sowie die Aktivitäten des Performancekünstlers He Yunchang im politischen und sozialen Kontext der Volksrepublik China. Auf diese Weise entsteht ein facettenreiches Bild von Tabus und Redeverboten in Geschichte und Gegenwart Chinas.